Ich kann nicht schlafen. In der örtlichen Poststelle wartet ein
petrolfarbener Penis auf mich. Ich sehe schön aus, kann man echt mal so
machen. Bisschen aufgeregt bin ich auch weil ich nicht weiß, was genau
„diskrete Verpackung“ bedeutet.
Beim Frühstück fange ich an, das Buch
von Eva Illouz zu lesen. „Warum Liebe weh tut“.
Aus der Einleitung
geht hervor, dass die Liebe und die romantische Zweierbeziehung seit
jeher ein patriarchales Machtinstrument gewesen ist, unter dem Frauen,
die sich in einer Partnerschaft nach Selbstaufgabe sehnen, leiden, und
Männer, die „in jeder Beziehung sie selbst bleiben“, profitieren.
Ich
denke an meine letzten Beziehungen und denke, dass sie irgendwie recht
hat. Ich bin natürlich Teil des Problems, weil ich trotz Feminismus noch
nicht verstanden habe, dass die Liebe nicht das oberste Ziel der
Anstrengung ist. Oberste Prämisse, Oberste Priorität, Schlüssel zum
Glück. Cheesy, hm?
Wenn ich cheesy schreibe, muss ich auch immer
an O. Denken, mit dem ich einen cheesy Regenkuss hatte, dann einen
schönen Abend an meinem Küchentisch, Rotwein und kalte Kartoffeln und
unfassbar weiche Küsse über den Tisch. Als dann mein Mitbewohner nach
Hause kam, verabschiedete O. sich und das wars dann auch. Seitdem nur
komische Begegnungen, angestrengte Coolness auf Freundschaftsbasis. Aber
immerhin konnte ich neulich einen guten Spruch zu seinem
Erpel-Trachtenjäckchen machen.
Die Frau auf der Post weiß ganz
genau bescheid. Sie fragt mich ob ich noch „ein paar schöne Briefmarken“
gebrauchen kann, flüstert dann fast als sie mir „einen ganz schönen
Tag“ wünscht. Vielleicht hat sie dabei sogar gezwinkert, aber vielleicht
bilde ich mir das auch jetzt ein.
Das Paket ist nur weiß, es
steht ein komischer Name irgendeiner Internetagentur darauf. Auffälliger
geht’s nicht. Ich habe entweder Drogen, Waffen oder Sexspielzeug im
Internet bestellt müssen die alle denken. Ich kann sehen wie der Mann
hinter mir in der Schlange wegen der Größe des Pakets ein
Maschinengewehr ausschließt und mich mit weit aufgerissenen Augen
ansieht, weil er einen anderen Verdacht hat. Das habe ich mir allerdings
wirklich eingebildet.
Der Penis passt nicht in meinen
Jutebeutel. Sehr ärgerlich. Ich kann also nicht einfach aufs Fahrrad
steigen und ihn nach Hause fahren, sondern muss schieben und ihn tragen.
Dabei muss ich grinsen weil niemand wissen kann, was ich da mit mir
rumtrage und was ich damit machen werde. Ich fühle mich sehr gut, sehr
überlegen.
Kurz muss ich mit dem Penis über die Straße rennen,
dann bin ich fast da. Schnell bringe ich ihn in seinem kleinen weißen
Papphaus in mein Zimmer, damit mich niemand fragt, was ich da bestellt
habe.
Ich muss ihn erstmal aufladen. Dafür gibt es ein USB Kabel,
das ich in den Laptop stecke. Kurz muss ich lachen wegen
Geschlechtskrankheiten und Computervirus und so, finde mich dann aber
schnell kindisch und teste lieber die Funktionen von meinem neuen
Mitbewohner.
Als ich los muss, verstecke ich ihn unter meiner
Bettdecke, weil ich ausschließen will, dass ihn jemand findet. Es geht
ohnehin niemand in mein Zimmer, aber wenn, dann muss der Penis ihnen ja
nicht die Tür aufmachen.
Auf dem weg nach Hause beschließe ich, ins Krankenhaus zu fahren, weil ich gerade noch nicht genug zu tun habe.
Ich
bin seit Tagen betrunken, nur von Wasser und Ibuprofen 400. Latentes
Karussell.
Als ich da ankomme warte ich ewig, aber weniger lang als ich
vom Krankenhaus erwartet hätte.
Alle Frauen, die mich heute
behandeln sind sehr nette women of colour, sie nehmen mich ernst und
kümmern sich um mich. Der einzige Typ, der wirklich unfreundlich ist,
ist der alte weiße Chefarzt.
Interessante Beobachtung aus dem Alltag.
Ich fange langsam schon an, zu glauben, dass ich mir das alles nur einbilde.
Aber die Doppelbilder sind real. I´m real, I´m real, I´m really really real singen sie.
Es
stehen falsche Kreuzchen auf meinem MRT Aufklärungsbogen, ob ich eine
Infektionskrankheit hätte, Hepatitis, Tuberkulose, HIV/Aids oder so, da
steht ja, hab ich aber nicht. Es sei denn, die, die das Kreuzchen
gemacht haben, wissen mehr als ich.
Heute Morgen, nachdem ich
meiner Mutter telefonisch zum Geburtstag gratuliert habe, kommt ein
netter Ergotherapeut, der Marc-Aurel heißt. Schöner Name, denke ich und
freu mich über die Erfindung der Namensschilder.
Er sagt ich habe
einen langen Hals, zwar nicht mit dem einer Giraffe vergleichbar, aber
doch schon länger als andere Hälse.
Dann drückt er an ein paar Stellen
in den Nacken, was tierisch weh tut. Giraffen haben im Vergleich zu
ihrem Hals aber auch einen sehr kleinen Kopf. Ich hingegen habe eine 6
kiloschwere Wassermelone auf einer Salzstange getragen.
(Dirty Dancing)
Marc Aurel ist schon der Dritte, der mir einen Stift vors Gesicht hält und mit mir einen Fokustest macht.
Als
er geht drückt er mir noch einen Flyer in die Hand, von der
Ergotherapie, da steht drauf: Ergotherapeutische Rehabilitation bei
Schlaganfall. Wieder was, was ich nicht weiß.
Frau Schulz und ihre
Hobbits kommen später. Ich hoffe, es sind Medizinstudenten, ich bin
sehr cool und begrüße alle. Warum das Kreuzchen falsch ist, wissen die
aber auch nicht.
„Woher kommen eigentlich deine Eltern“ „Ja ich mag ja diesen crazy Mix!“ „Mach mal einen Samba-Schritt!“.
Ich bekomme an einem Tag drei mal Besuch und alles was ich tue, ist Germanys Next Topmodel zusammenzufassen.
Ich
frage mich, ob C. weiß, dass ich hier bin. Und dann frage ich mich
weiter, ob er, wenn er wüsste, dass ich hier bin, mich besuchen kommen
würde.
Ich denke hier erstaunlich wenig an ihn, nur wenn mir wirklich
extrem langweilig wird (so wie gerade) dann denke ich mir, wie die Tür
aufgeht und er reinkommt und mir Blumen vom Markt mitbringt wie früher
und wir Witze über meinen Popcornkonsum machen.
Heute kommt wenigstens ein bisschen die Sonne raus. Wenn ich mit beiden Augen gucke, sehe ich sie zweimal.
Heute
passiert hier überhaupt nichts, also noch weniger nichts als eh schon.
Keine Untersuchungen, keine Bilder von meinem Kopf, keine Bilder von
meiner Wirbelsäule. Ich dachte vorhin ich hätte mich geheilt, als ich
mein Gesicht massiert habe.
Meine Bettwäsche ist weiß-gelb gestreift. M. Sagt, es gibt keine hässliche Bettwäsche.
Dienstag will ich hier raus sein.
Meine
Zimmernachbarin hat ein ziemlich krasses Leben. Dank ihrem ausgeprägten
Mitteilungsbedürfnis weiß ich jetzt fast alles darüber. Sie, MS, hatte
vermutlich einen Schub, wohnt zusammen mit ihrem Mann, der
querschnittsgelähmt ist, auf einem alten Hof, ihre Eltern sind noch
relativ jung, ihre Oma, die auch in dem Haus wohnt, ein Vollpflegefall.
Die wohnen alle zusammen und jammern wahrscheinlich den ganzen Tag. Ist
ja auch ziemlich gemütlich, so ein schweres Leben.
Ich stelle mir vor, wie sie sich regelmäßig gegenseitig unter Drogen setzen um sich schlafend leichter zu ertragen.
L'enfer, ce sont les autres.
Kurz
überlegt, ob ich auf die Säuglingsstation gehen sollte um mir Babys
anzugucken. Hab mich dann aber nicht getraut und stattdessen das
Aquarium zwischen Kinderstation und Andachtsraum angeguckt.
Richtig gerne hätte ich mit den Händen reingegriffen und ein paar Fischlis mitgenommen.
Mich
auf den Kram für die Uni zu konzentrieren fällt mir hier richtig
schwer, weil ich das Gefühl habe, das hat mit dem richtigen Leben
überhaupt nichts zu tun.
Ich weigere mich, mich in eine Parallelwelt einzufügen, kann mich aber noch weniger mit der echten Welt abfinden.
Ich
liebe die Neurologiestation! Es läuft immer mindestens ein verirrter
alter Mensch über den Flur und muss von den Schwestern eingefangen
werden. Vorhin auf dem Weg zum Rauchen, bevor ich das Aquarium entdeckt
habe, treffe ich einen gestreiften Herren, der angeschnallt in einem
Wagen sitzt und mich fragt ob ich ihn losmachen kann. Die Schwestern
sagen aber, dass das alles schon so ok ist. Ein bisschen sind wir alle
Guppys mit ein bisschen weniger Glaskasten.
Ich habe Blumen bekommen. Mitgebracht von meinen Freundinnen aus der Parallelwelt, gekauft in dieser Welt, Krankenhausen.
Ich
liebe die Blase, in der ich mich sonst aufhalte und eigentlich hasse
ich sie auch. Ich würde gerne nur noch einfach sehen. Doppelt ist sehr
anstrengend und schwindelerregend.
Ist das schwer? Oder schwierig?
Ich sehe doppelt, Interferenzen meiner Wirklichkeit. Überlagerungen von
außen und innen, kann mir jetzt endlich mal jemand die Watte aus dem
Kopf nehmen? Dankeschön.
Frau Zimmermann, auf dem Bild hier sind 5
Fehler versteckt, auf dem auch und auf dem auch und auf dem auch auf
dem auch und auf dem auch und auf dem auch auf dem auch und auf dem auch
und auf dem auch. Jetzt bewegen Sie mal nur die Augen, genau. Wenn das
zu anstrengend wird, machen Sie eine kurze Pause.
Idiot.
Schon
wieder hab ich geträumt, dass auf meinem Krankenhausbändchen stand, ich
wäre HIV positiv. Ich habe kein Krankenhausbändchen.
„Schade,
dass wir uns nichtmehr gesehen haben, ich werde sie vermissen“ schreibt
jemand auf meine Facebookseite im Gedenkmodus, nachdem ich an meinem
Hirntumor gestorben bin. Ich habe kein Facebook.
Der Bauch meiner
Mitbewohnerin singt auf meiner Beerdigung, es ist eine Seebestattung.
Ich hasse das, aber ich finds irgendwie ok, dass dann alle in einem Boot
sitzen.
Da kann sich wenigstens keiner wegschleichen. Ich habe keinen Hirntumor.
Mein
Körper fühlt sich nicht an wie meiner. Ich bin mir entfremdet worden.
Durch meine Augen zieht ein Gewitter, Vibration findet aber nur links
statt. Ch. steht vor einem Rätsel. Das ist wie ein Traum, aus dem ich
mir aufzuwachen wünsche. Das ist doch irgendwie beunruhigend. Wenn
Träume Zufluchtsorte sind, normalerweise haben sie mich mehr als alles
andere aufgewühlt. Realität und Traum haben sich abgeklatscht und die
Plätze gewechselt.
Ich fühle mich wie an einen Elektroschocker angeschlossen.
Die
Räume haben sehr hohe Decken und alles ist weiß-orange. F. sagt, ich
sei der Bosporus, und plötzlich finde ich mich in einer teichgroßen,
laubgefüllten Pfütze am Fuße eines gigantischen Wasserfalls wieder. Ein
Freund kommt vorbei, er streichelt mir den Kopf, ich sehe ihn nicht an,
er möchte an der Pfütze mit seiner Mutter picknicken.
Der
Bosporus (griechisch Βόσπορος „Rinderfurt“, von βοῦς boũs „Rind, Ochse“
und πόρος póros „Weg, Furt“; türkisch Boğaz „Schlund“, bzw. Karadeniz
Boğazı für „Schlund des Schwarzen Meeres“; veraltet „Straße von
Konstantinopel“) ist eine Meerenge zwischen Europa und Kleinasien, die
das Schwarze Meer (in der Antike: Pontos Euxeinos) mit dem Marmarameer
(in der Antike: Propontis) verbindet; daher stellt er einen Abschnitt
der südlichen Innereurasischen Grenze dar. Auf seinen beiden Seiten
befindet sich die Stadt Istanbul, deren Geografie er maßgeblich prägt.
Der Bosporus hat eine Länge von ca. 30 Kilometern und eine Breite von
700 bis 2500 Metern. In der Mitte variiert die Tiefe zwischen 36 und 124
Metern (bei Bebek). Innerhalb des Bosporus liegt auf der westlichen
Seite das Goldene Horn, eine langgezogene Bucht und ein seit langem
genutzter natürlicher Hafen.
Später, wenn ich zu Hause bin, tanze ich durch die Küche, höre Jazzmusik und bin ganz euphorisch vor lauter zu Hause sein.
tastnotizen
Samstag, 11. März 2017
Sonntag, 13. Juli 2014
Montag, 9. Juni 2014
schwarzweiß vielleicht
ich drücke kerben
ins laminat,
mit jedem schritt schmilzt boden
deine fugen erzählen von
hitze vor den fenstern
ich balle drei hände zur faust
konzentriere mich auf gras und teer
morgen wird schwarzweiß
vielleicht
achtzig tage ferien
oder arrest im paradies
baby, mir gefällt wie du brennst.
ziehe an deiner haut
bis sich die
fliesen nicht mehr reimen
du ziehst ab und nimmst
meine fäuste mit
ins exil
Montag, 2. Juni 2014
erzähl mir von portugal
für s.
erzähl mir von portugal
sei nah
schenk mir dein bilderalbum
ohne blau dafür mit aufgestelltem haar
er wohnt irgendwie schon fünfundzwanzig jahre da
sie hat gespült und abgetrocknet
the pains of being pure at heart
wir waren jeden tag am strand,
die terasse ist irgendwie nicht das gleiche wie der strand.
es war so warm obwohl es mai war
gefühlte
27/28 grad
das würde ich auch gerne mal fühlen,
dann haben wir die größte eidechse angefasst, die es auf der welt gibt
lass uns zusammen verreisen
nichts entdecken nur uns
haben wurmlöcher zum verstecken
flüssigkeit im kopf und dampf auf den adern
du versteckst dich nie.
kein richtiges tier
Mittwoch, 12. März 2014
Sonntag, 2. Februar 2014
Ich sage Wasser und Salz
Der corpus aus Glas
ein Hauch wie Zeitung
unbeschrieben
der Rumpf bewegt
ächzende Bahnen von
hoch und tief
veränderte Perspektive,
verfälschter Tastsinn
Augenblicke verschlossen
vergangener Blick
Ein Halbmond aus Zähnen
Das Handgelenk schmückend
leise aber rau
Gewölbte Haut in Teilen
dumpfes Geräusch,
die Wimpern gesenkt.
Gefüllte Säcke
mit Wasser und Salz,
Tränen sagst du.
Ich sage Wasser und Salz.
ein Hauch wie Zeitung
unbeschrieben
der Rumpf bewegt
ächzende Bahnen von
hoch und tief
veränderte Perspektive,
verfälschter Tastsinn
Augenblicke verschlossen
vergangener Blick
Ein Halbmond aus Zähnen
Das Handgelenk schmückend
leise aber rau
Gewölbte Haut in Teilen
dumpfes Geräusch,
die Wimpern gesenkt.
Gefüllte Säcke
mit Wasser und Salz,
Tränen sagst du.
Ich sage Wasser und Salz.
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